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Alexandra Endres

CO₂-Entnahme aus der Luft: Wie räumen wir die Atmosphäre auf?

Veranstaltung im Format einer Unterhausdebatte Begrüßung durch Katja Matthes
Veranstaltung im Format einer Unterhausdebatte Begrüßung durch Katja Matthes
Prof. Dr. Katja Matthes, Direktorin des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel und Koordinatorin des Steering Boards von Helmholtz KLIMA, begrüßt die Gäste
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Markus Scholz

Bis 2045 muss Deutschland klimaneutral werden, legt das Klimaschutzgesetz fest – also genau so viele Treibhausgase aus der Atmosphäre entnehmen, wie es in sie einbringt. Nach 2050 soll die Emissionsbilanz sogar negativ werden. Ohne CO₂-Entnahme aus der Atmosphäre (Carbon Dioxide Removal, CDR) wird das nicht möglich sein. In einer Unterhausdebatte von Helmholtz KLIMA setzten sich am 20. Mai 2025 Fachleute, Bundestagsabgeordnete und Interessierte mit den Potenzialen, Kosten und Risiken der verschiedenen Methoden auseinander – und mit ihrem möglichen Beitrag zur Einhaltung der deutschen Klimaschutzziele.

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Derzeit ist Deutschland auf keinem guten Weg, seine Ziele zu erreichen: Der Expertenrat für Klimafragen, der die Bundesregierung berät und ihre Klimapolitik jährlich prüft, erwartet „spätestens ab 2030 deutliche Zielverfehlungen“. Umso relevanter ist eine Debatte über CDR. Die wichtigsten Erkenntnisse und Positionen des Berliner Abends: 

Veranstaltung im Format einer Unterhausdebatte im Festsaal Luisenstraße in Berlin
Veranstaltung im Format einer Unterhausdebatte im Festsaal Luisenstraße in Berlin
Prof. Dr. Julia Pongratz (LMU München und CDRterra) am Mikrofon, links Prof. Dr. Andreas Oschlies (GEOMAR), rechts Dr. Thomas Gebhart, MdB (CDU)
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Markus Scholz

Die deutschen Emissionen müssen schnell und deutlich reduziert werden – darauf kommt es vor allem anderen an. Doch selbst dann wird CDR nötig sein. „Wir brauchen die CO₂-Entnahme rein rechnerisch“, sagt Julia Pongratz, Leadautorin des Reports „The State of CDR“, Sprecherin des Forschungsprojekts CDRterra und Professorin für Physische Geographie und Landnutzungssysteme an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. „Aber um den Temperaturanstieg auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen, müssen vor allem die Emissionen massiv sinken.“

Wie groß die Rest-Emissionsmenge ist, die CDR dann noch ausgleichen muss, hängt von gesellschaftlichen und politischen Entscheidungen ab: zum Beispiel davon, welche Emissionen als schwer vermeidbar akzeptiert werden, und davon, wie weit eine Ernährungs-Umstellung weg von tierischen Produkten gelingt. Pongratz: „So oder so werden wir mehr CDR brauchen, als wir heute haben.“

Veranstaltung im Format einer Unterhausdebatte im Festsaal Luisenstraße in Berlin
Veranstaltung im Format einer Unterhausdebatte im Festsaal Luisenstraße in Berlin
Dr. Susanne Dröge (Umweltbundesamt)
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Markus Scholz

Momentan findet CDR praktisch ausschließlich auf natürlichem Wege statt – durch Aufforstung, Moor-Wiedervernässung, Seegraswiesen, CO₂-Speicherung im Boden. Aber die natürlichen Senken sind gefährdet. In Deutschland wandelt sich der Wald aufgrund von Klimaschäden gerade von einer CO₂-Senke zu einer -Quelle.

Mit fortschreitendem Klimawandel und nur langsam sinkenden Emissionen wird es immer unwahrscheinlicher, Klimaneutralität allein durch natürliche Senken zu erreichen. „In der Zeitspanne, die Deutschland sich vorgenommen hat, könnte es noch funktionieren“, sagt Susanne Dröge Leiterin der Abteilung Klimaschutz und Energie des Umweltbundesamts (UBA). „Aber es wird auf jeden Fall eng. Und die neuen Zahlen der Bundeswaldinventur sehen nicht gut aus.“ 

Ins Spiel kommen damit technische Verfahren wie Direct Air Capture (DAC) und chemische Methoden wie die beschleunigte Verwitterung von Gesteinen an Land oder das Einbringen des Gesteinsmehls ins Meer (Alkalinisierung). Sie werden derzeit noch erforscht und erprobt und sind noch sehr teuer – aber das könnte sich in Zukunft ändern. Ob die Verfahren sich lohnen, wird dann auch von der politisch festgelegten Höhe des CO₂-Preises abhängen.

Grundsätzlich bietet die Alkalinisierung der Meere ein großes Potenzial. Hinzu kommt: „Die dabei erreichte chemische Speicherung des Kohlenstoffs in Form von gelösten Salzen der Kohlensäure im Meerwasser ist sicherer als die Speicherung in Vegetation, die abbrennen oder abgeholzt werden könnte. In den Ozeanen ist CO₂ auf diese Weise über viele Jahrtausende gebunden - und vermutlich Jahrhunderttausende“, sagt Andreas Oschlies, Leiter der Forschungseinheit Biogeochemische Modellierung am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel.

Je größer die Krise, desto sinnvoller erscheint es, alle verfügbaren Mittel gegen sie zu mobilisieren. „Um den Klimawandel zu bewältigen, müssen wir alle möglichen Verfahren entwickeln und einsatzbereit halten – auch die technischen. Am Ende macht uns das resilienter und unsere Lösungsansätze robuster“, sagt Roland Dittmeyer, Institutsleiter am Institut für Mikroverfahrenstechnik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). 

CCS bleibt ein schwieriges Thema. Streng genommen ist es keine Variante von CDR, denn durch CCS soll CO₂ aus Abgasen abgetrennt und im Untergrund gespeichert werden, bevor es überhaupt in die Atmosphäre gelangen kann. Die Technik ist noch nicht so weit ausgereift, dass sie problemlos eingesetzt werden könnte. Ihre Risiken und ihr möglicher Beitrag zur Emissionsreduktion waren auch während der Unterhausdebatte umstritten. 

Expertise

Derzeit ist CCS in Deutschland noch verboten. Ihre Befürworter sprechen sich für dafür aus, die Technik zumindest an Land zu erlauben, schon um sie zu erproben, weiterzuentwickeln und im Bedarfsfall zur Verfügung zu haben – und um trotz der Risiken Verantwortung für die eigenen Emissionen zu übernehmen, statt sie in die Atmosphäre zu entlassen. 

Ein Sonderfall ist CCS in Kombination mit dem Verbrennen von Biomasse (BECCS), das zu einer technischen CO₂-Senke werden könnte – unter der Voraussetzung, dass genügend Biomasse nachwächst, um die Bilanz ins Negative zu bringen. Doch das ist in Deutschland derzeit fraglich. 

CO₂ in die Atmosphäre zu entlassen, muss etwas kosten. „Ein CO₂-Preis ist das effizienteste Steuerungsinstrument“, sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Gebhart. „Das ist der entscheidende Punkt.“ Dabei sollte auch finanziell kompensiert werden, wer das Treibhausgas aus der Atmosphäre holt, sagt Karen Pittel, Leiterin des ifo Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen am ifo Institut München, Professorin für VWL an der LMU und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderung, denn: „Wenn man nicht dafür zahlt, dass jemand CO₂ aus der Atmosphäre entnimmt, dann wird es nicht geschehen.“

Veranstaltung im Format einer Unterhausdebatte im Festsaal Luisenstraße in Berlin
Veranstaltung im Format einer Unterhausdebatte im Festsaal Luisenstraße in Berlin
Dr. Fabian Fahl, MdB (Die Linke)
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Markus Scholz

Ob und inwieweit es einen sozialen Ausgleich für den Preis geben solle, blieb an den Abend umstritten. Die Linke fordert ihn. Fabian Fahl, Bundestagsabgeordneter der Partei: „Der CO₂-Preis macht das Heizen teurer für Menschen, die sich nicht aussuchen können, welche Heizung ihr Vermieter einbaut, und das Tanken auch auf dem Land, wo Busse und Bahnen nicht fahren.“ Deshalb sei ein Ausgleich notwendig. Manche Teilnehmende sahen in den sozialen Auswirkungen eines CO₂-Preises ein erhebliches Gerechtigkeitsproblem. Andere plädierten dafür, soziale Fragen nicht innerhalb der Klimapolitik zu verhandeln, sondern separat.

Das Fazit von Katja Matthes, der Direktorin des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel: „Die Entnahme von CO₂ aus der Atmosphäre ist von größter Relevanz für den Umwelt- und Klimaschutz. Aber alle Methoden sind mit komplexen wissenschaftlichen, technischen und insbesondere gesellschaftlichen und politischen Fragen verbunden und dürfen nur dem Umgang mit schwer vermeidbaren Restemissionen dienen.“ Absolute Priorität sei es weiterhin, rund 90 Prozent unserer Emissionen künftig zu vermeiden. Dennoch sei Klimaneutralität bis 2045 machbar, resümiert Matthes: „Wenn wir bereit sind, über Disziplinen, Sektoren, und auch politische Lager hinweg zusammenzuarbeiten“.

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