„Die nächste Eiszeit wird ausbleiben“
Klimawandel? Gab es schon immer. Um zu verstehen, was uns bereits in naher Zukunft erwarten könnte, erforschen Wissenschaftler*innen, welche Faktoren sich seit Jahrmillionen in welcher Weise auf diese komplexe Dynamik auswirken. Fest steht: So rasant wie derzeit, ging es selten auf unserem Planeten zu. Noch können wir das Schlimmste verhindern. Doch die Zeit drängt.
Über viereinhalb Milliarden Jahre ist die Erde alt – und ihr Klima hat sich im Lauf der Zeit immer wieder massiv verändert. Unser heutiges Klima ist also nur eine Momentaufnahme, doch was vor rund 150 Jahren mit der Industrialisierung begann, ist einmalig in der Erdgeschichte. Seit der Mensch erstmals erheblichen Einfluss auf seine Umwelt genommen hat, hat sich eine Entwicklung vollzogen, die es in Jahrmillionen Klimageschichte zuvor nicht gab – das lässt sich heute mit diversen wissenschaftlichen Methoden zeigen.
„Je mehr wir darüber wissen, wie sich das Klima über lange Zeiträume – ohne den Menschen – entwickelt hat, desto genauer können wir verstehen, welchen Einfluss wir auf das System haben“, sagt Gerrit Lohmann. Viele Millionen Jahre blickt der Leiter des Forschungsbereichs Dynamik des Paläoklimas am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in die Vergangenheit. Vor 100 Millionen Jahren war der CO2-Anteil in der Atmosphäre sehr hoch und das Klima entsprechend warm. Selbst ozeanische Tiefen hatten Temperaturen von 14 bis 16 Grad Celsius. Das Wachstum von Flora und Fauna brachte dann eine entscheidende Wende: Das CO2 in der Atmosphäre wurde gebunden.
Unsere heutigen Klimaverhältnisse entstanden vor rund 65 Millionen Jahren, im Känozoikum. Seither war es schon des Öfteren deutlich wärmer auf der Erde als heute. Auch die CO2-Konzentration in der Atmosphäre war zum Teil erheblich höher. Einfluss darauf haben viele Faktoren, die sich in regelmäßigen Perioden ändern: Die Ellipsenbahn unseres Planeten um die Sonne zum Beispiel (im Laufe von 100.000 Jahren) oder die Neigung der Erdachse (im Laufe von etwa 41.000 Jahren). All diese Faktoren verursachten einen permanenten Wandel des globalen Klimas, der sich allerdings in sehr langen Zeitspannen vollzog.
Aufgrund dieser stetigen, sehr langfristigen Wechsel veränderten sich auch Umweltfaktoren, die auf das Klima wirken. So beeinflussten ausgedehnte Eisschilde die atmosphärische Zirkulation: Die Eisschilde wirkten sich nicht nur auf atmosphärische Temperaturen aus, sondern auch auf die Ozeane. Eis reflektiert mehr Sonnenlicht und lässt so die Temperaturen sinken. Auf der anderen Seite nehmen die Ozeane das Sonnenlicht auf und transportieren Wärme in hohe Breiten. Am Ende der letzten Eiszeit vor 14 Tausend Jahren führte das Anspringen dieses Transportes dazu, dass es im Nordatlantik warm wurde und Eisschilde schmolzen. Die erheblichen Schmelzwassermengen veränderten wiederum ozeanische Strömungen.
Die letzte große Eiszeitperiode begann vor etwa 35 Millionen Jahren. Seitdem befindet sich die Antarktis als separater Kontinent am Südpol. Eine ringförmige Wind- und Wasserzirkulation schirmte sie vom Austausch mit den wärmeren, niederen Breiten ab. So konnte das Wasser um die Antarktis abkühlen und in die Tiefen der Ozeane sinken. Dadurch sind die Weltmeere heute rund 10 Grad Celsius kälter als vor 70 Millionen Jahren. Seit etwa drei Millionen Jahren gibt es auch Landeis in der Nordpolarregion, permanent auf Grönland und während der Eiszeiten in Nordamerika und Eurasien.
„Synchron zur sich verändernden Laufbahn der Erde um die Sonne durchlief das globale Klima in der letzten Millionen Jahren langfristige Zyklen“, sagt Lohmann. „In Kaltzeiten waren Teile der nördlichen Erdhalbkugel großflächig mit bis zu mehreren Kilometer dicken Eisschilden bedeckt, die in Warmzeiten wieder weitestgehend verschwanden. Dies wiederholte sich etwa alle 80.000 bis 120.000 Jahre.“ Rekonstruktionen aus Eisbohrkernen zeigen, dass zwischen den Kalt- und Warmzeiten der CO2-Anteil variierte. Er lag zwischen etwa 180 und 290 Teilchen von einer Millionen Teilchen (parts per million – ppm).
Mit dem Beginn der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts jedoch begann eine Entwicklung unseres Klimas, die in der Erdgeschichte einmalig ist. Die CO2-Konzentration stieg innerhalb von rund 150 Jahren so schnell, wie nie zuvor und mit ihr die globale Erwärmung: 2020 lag die jährliche die CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre an den Messstationen auf der Zugspitze und Mauna Loa auf Hawaii im Schnitt schon bei 414 ppm. Die Messstation Mauna Loa etwa zeigt für die letzten 60 Jahre einen rapiden Anstieg der CO2-Konzentration um 100 ppm. Diese Zahlen sind damit ein wichtiger Indikator für den vom Menschen verursachten, also anthropogenen Klimawandel. Den Kohlenstoff, der in der Zeitspanne 200 Millionen Jahre bis 65 Millionen Jahre vor unserer Zeit vor allem in Kohle, Erdöl, und Erdgas gebunden wurde, setzen Menschen nun innerhalb kürzester Zeit wieder frei.
Um das hochkomplexe Klimasystem zu verstehen, nehmen die Forscher*innen weltweit Proben: an Land, in den Ozeanen, am Meeresgrund und im Eis. Hinzu kommen Methoden der Fernerkennung via Satelliten und Flugzeugen. „Zusätzlich zu den Messergebnissen der vergangenen zwei Jahrhunderte greifen wir auf Informationen zurück, die uns etwas über lang vergangene Klima- und Umweltbedingungen verraten“, erläutert Lohmann. Solche Stellvertreter-Daten, Proxys genannt, können etwa aus Organismen gewonnen werden: An Wachstumsringen von Bäumen lassen sich zum Beispiel Extreme wie heiße Sommer erkennen. Überreste von Amphibien und Reptilien findet man dort, wo einst tropisches bis subtropisches Klima herrschte. Sedimente geben ebenfalls Aufschluss über längst vergangene klimatische Verhältnisse.
Auf Basis solcher Proxy-Daten sowie durch Klimamodellierung lassen sich genaue Bilder der Vergangenheit erstellen. Vor rund 20 Jahren basierten solche globalen Modelle noch auf einem Raster von etwa 500 mal 500 Kilometern. Heute haben die meisten Klimamodelle eine Maschenweite von 50 oder 100, einige von zehn mal zehn Kilometern – und die Auflösung wird immer feiner. In den Modellen werden zudem immer mehr Komponenten berücksichtigt, neben der Atmosphäre unter anderem die Landvegetation, die marine Biosphäre, also das Ökosystem Meer, und die Kryosphäre: Das ist der Teil des Klimasystems, in dem Wasser im gefrorenen Zustand vorliegt – Eisschilde, Schelfeis, Packeis, Gletscher und Permafrost.
„In den vergangenen 15 Jahren ist hierbei Permafrost stark in den Fokus gerückt“, berichtet Guido Grosse, der ebendiesen Forschungsbereich am AWI leitet. Die AWI-Forscher*innen untersuchen geowissenschaftliche und mikrobiologische Prozesse, machen meteorologische Beobachtungen und Langzeituntersuchungen zu lokalen Spurengas- und Energieflüssen im und aus dem Permafrost. „Heute wissen wir, dass in den Permafrostböden weltweit deutlich mehr Kohlenstoff gespeichert ist, als in der Atmosphäre“, sagt Grosse.
Eine große Bedeutung als Klima-Indikatoren haben auch Kohlenstoffisotope. „Mit Hilfe der verschiedenen Isotope können wir unter anderem Änderungen des Kohlenstoffkreislaufs rekonstruieren“, erläutert Peter Köhler vom AWI-Forschungsbereich Glaziologie. Hierfür hat ein internationales Wissenschaftsteam, an dem Köhler beteiligt war, in den vergangenen sieben Jahren fast 15.000 Proben analysiert. Das Team kann bis zu 57.000 Jahre zurückgehend erfassen, wie hoch der Anteil des Radiokohlenstoffs in der Atmosphäre zu bestimmten Zeiten war.
Kohlenstoffisotope
Atome, in deren Kerne sich sechs Protonen befinden, werden dem Element Kohlenstoff zugerechnet. In der Regel befinden sich im Atomkern ebenso viele Neutronen wie Protonen. Weicht deren Anzahl ab, spricht man von Isotopen. Radiokarbondatierung nutzt den Umstand, dass unterschiedliche Isotope sich unterschiedlich verhalten. Das stabile Isotop 12C und das radioaktive Isotop 14C werden von Fotosynthesetreibende Organismen zu Lebzeiten fortwährend aufgenommen, im gleichen Verhältnis wie selbige in der Atmosphäre vorliegen. Während 12C erhalten bleibt, zerfällt 14C mit einer Halbwertszeit von 5.700 Jahren. Durch Messen des Verhältnisses von 14C zu 12C in einem Objekt kann das Todesdatum berechnet werden.
Heute wissen wir: Je mehr CO2 und andere Treibhausgase die Menschheit emittiert, desto wärmer wird es auf unserem Planeten. Die sehr langfristigen Schwankungen der Sonneneinstrahlung können einen so starken Temperaturanstieg in so kurzer Zeit nicht verursachen. „Ähnlich wie uns radioaktiver Müll aus Kernkraftwerken noch sehr lange erhalten bleibt, stehen wir auch vor der großen Aufgabe, unseren Kohlenstoff-Müll zu entsorgen“, betont Köhler. „Wenn wir unsere Öl- und Gasvorräte bis zur Neige verbrennen, wird es eine Million Jahre dauern, bis das hierdurch ausgestoßene CO2 anderweitig gebunden ist.“ Schon jetzt sei absehbar: „Aufgrund unserer bisherigen Emissionen wird die nächste Eiszeit ausbleiben.“ Dazu kommt: „An bestimmten Kipppunkten stößt die global steigende Temperatur natürliche Prozesse an, die den Klimawandel verstärken“, sagt Guido Grosse. „Ist solch ein Punkt erreicht, können wir diese Dynamik kaum mehr aufhalten.“ Dies gelte etwa bei Permafrost: „Wenn wir das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens nicht einhalten, tauen die Böden verstärkt auf und daraus resultierende große Mengen an Treibhausgasen werden den Klimawandel deutlich verschärfen.
Das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens
Fast alle Staaten der Welt haben gemäß der UN-Klimakonferenz von 2015 in Paris vereinbart, die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen, möglichst auf unter 1,5 Grad Celsius. Damit sollen Folgen des Klimawandels begrenzt werden – etwa Naturkatastrophen, Dürren und ein Anstieg der Meeresspiegel.
„Die letzten 10.000 Jahre waren sehr stabil“, weiß Grosse. „Doch nun haben wir eine Phase eingeleitet, wie es nur wenige in der Erdgeschichte gab, in denen die Erwärmung auch nur annähernd so rapide fortgeschritten ist.“ Die drei Wissenschaftler sind sich darin einig: Noch können wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen und Kippunkte vermeiden. Doch die Zeit drängt.