26.04.2024
Denise Müller-Dum und Jens Kube

Gesteinsmehl gegen den Klimawandel

Selbst wenn die Treibhausgasemissionen drastisch sinken, muss Kohlendioxid in Zukunft aus der Atmosphäre entfernt werden, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Gesteinsmehl könnte dabei helfen.

Gesteinsmehl als Teil eines Rezepts gegen den Klimawandel – was ungewöhnlich klingt, ist eine realistische Strategie, um Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre zu holen und damit das Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Dem Weltklimarat (IPCC) zufolge dürfen dafür ab Mitte des Jahrhunderts unterm Strich keine Treibhausgase mehr in die Atmosphäre gelangen – man spricht von der Netto-Null. Dann noch verbleibende, unvermeidliche Treibhausgasemissionen – etwa durch Flüge, Schiffe oder die Landwirtschaft – müssen aktiv aus der Atmosphäre entfernt werden. Ihr Umfang entspricht in den optimistischsten Szenarien noch rund 12 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr.  Das entspricht gut 20 Prozent der aktuellen globalen Treibhausgasemissionen.

Wissenschaftler:innen erforschen Verfahren zur CO2-Entnahme unter dem Schlagwort „Carbon Dioxide Removal“ (CDR). Diese reichen von der Wiederaufforstung über unterirdische Speicherung von CO2 bis hin zur Ozeandüngung. Die Idee mit dem Gesteinsmehl orientiert sich an dem natürlichen Prozess der Verwitterung. Dabei reagieren CO2 und Wasser mit Gestein – etwa den in der Erdkruste häufig vorkommenden Silikatgesteinen. Es entsteht zunächst im Wasser gelöstes Hydrogenkarbonat, in dem das CO2 gebunden ist. Über Flüsse gelangt dies langfristig in den Ozean und bleibt dort über Jahrtausende gespeichert. Auf diese Weise reguliert die Verwitterung von Gesteinen den CO2-Gehalt in der Atmosphäre und damit das Klima über sehr lange Zeiträume von Zehntausenden bis Millionen von Jahren.

Beschleunigte Verwitterung auf Äckern

Diese Zeit haben die Vertragsparteien des Pariser Klimaabkommens nicht. Um den Prozess der Verwitterung zu beschleunigen, kann man das Gestein zermahlen. Viele kleine Teilchen haben nämlich zusammen eine größere Oberfläche als die gleiche Menge eines massiven Objekts. Dadurch können die chemischen Reaktionen schneller ablaufen – ähnlich wie bei Holzspänen, die deutlich schneller verbrennen als ein Holzscheit. Das zermahlene Gestein könnte verstreut auf Nutzflächen wie Äckern seinen Dienst tun.

"Idealerweise macht man das in Regionen, wo es viel regnet und sehr warm ist", sagt der Geologe Thorben Amann von der Universität Hamburg. "Man würde außerdem gut erreichbare Flächen mit der erforderlichen Infrastruktur wählen." Deshalb dreht sich die Diskussion vor allem um Agrarland. Das Gesteinsmehl lässt sich mit üblichen landwirtschaftlichen Geräten ausbringen und kann sogar die Bodeneigenschaften verbessern. Mögliche negative Effekte, etwa ein Eintrag unerwünschter Elemente, könnten sich durch die Wahl eines wenig belasteten Gesteins wie Basalt begrenzen lassen, so Amann.

Einige Unternehmen wie das irische Start-Up Silicate oder UnDo in Großbritannien verfolgen die beschleunigte Verwitterung auf Äckern bereits als Geschäftsidee: Langfristig wollen sie die Entnahme durch den Verkauf von CO2-Zertifikaten finanzieren. Eine Herausforderung ist dabei noch die genaue Messung der CO2-Entnahme: Das geht im Labor recht leicht, auf offenen Flächen aber nur mit großem Aufwand.

Andere Start-Ups, die CO2-Zertifikate verkaufen wollen, setzen Gesteinsmehl im Ozean ein. Dadurch soll dessen Fähigkeit, CO2 aus der Atmosphäre aufzunehmen, erhöht werden. Das Gesteinsmehl löst sich im Wasser auf und verschiebt die chemischen Gleichgewichte so, dass CO2 sich besser löst. So könnte der Ozean noch mehr menschengemachtes CO2 aufnehmen – mehr als ein Viertel davon hat er bereits so absorbiert. Ein positiver Nebeneffekt: Dieser Prozess kann der Ozeanversauerung entgegenwirken.

Gesteinsmehl im Ozean

Dass auch Gesteinsmehl im Ozean eine vielversprechende CDR-Maßnahme sein könnte, zeigen Modellstudien und Experimente. Am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel untersuchen Forschende derzeit in abgeschlossenen Behältern – sogenannten Mesokosmen – in der Ostsee, was die Prozedur mit Meeresbewohnern macht. "Wir geben Weißkalk in die Mesokosmen und untersuchen die Auswirkungen aufs Ökosystem", erklärt der Biogeochemiker Kai Schulz von der Southern Cross University in Australien, derzeit Gastwissenschaftler am GEOMAR. "Es gibt schon Firmen, die das machen, deshalb müssen wir dringend mögliche Auswirkungen dieser CDR-Technologie erforschen." Ihr Potential ist groß: Hunderte Millionen oder gar ein paar Milliarden Tonnen CO2 ließen sich damit pro Jahr aus der Atmosphäre holen. Das erforderliche Gesteinsmaterial ist zwar in ausreichendem Maße verfügbar, beim Abbau und Transport wird jedoch CO2 freigesetzt, wodurch in der Gesamtbilanz die CO2-Entnahme geringer ausfällt.

Ähnliches gilt für die Anwendung von Gesteinsmehl an Land. Auch hier braucht es viel Material – für jede Tonne CO2 etwa drei Tonnen Basalt. Maximal könnte diese Methode einige Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr aus der Atmosphäre entfernen. "Wir reden hier über Potentiale – das heißt, wenn wirklich jeder Bauer und jede Bäuerin auf der Welt das machen würde", sagt Thorben Amann. "Was wirklich realisierbar ist, ist eine andere Frage."

Forschende gehen davon aus, dass man verschiedene CDR-Technologien benötigt, um die Klimakrise einzudämmen. Deshalb wird Gesteinsmehl – an Land oder im Meer – wohl eine, aber bei Weitem nicht die einzige Zutat des Rezepts gegen den Klimawandel sein.

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