03.08.2022
Ulrike Schneeweiß

Jeder Baum tut gut

Bäume in der Stadt lindern die Folgen des Klimawandels für die Menschen. Gleichzeitig leiden sie selber unter den steigenden Temperaturen. Gesunder urbaner Lebensraum muss deshalb für Mensch und Baum gemeinsam gestaltet werden.

Manche Auswirkungen des Klimawandels treffen Städte besonders hart: Beton und Asphalt heizen sich auf, Hitze staut sich zwischen Gebäuden, Regenwasser kann in die großflächig verdichteten und versiegelten Böden schlecht einsickern. Darunter leiden nicht nur die Menschen, sondern auch das Stadtgrün - das die Folgen des Klimawandels in vieler Hinsicht erträglicher machen könnte.

Tobias Zielisch
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Stressfaktor Trockenheit

„Um mit den Folgen des Klimawandels in den Städten klarzukommen, müssen wir funktionierendes Stadtgrün etablieren, erhalten und weiterentwickeln“, sagt der Biologe und Baumgutachter Tobias Zielisch aus Potsdam. „Mit steigenden globalen Temperaturen, müssen wir in unseren Breiten immer öfter mit Heißen Tagen rechnen, an denen die Temperatur über 30°C steigt. Wer hat nicht schon einmal an so einem Tag Erholung unter Bäumen gesucht und weiß: Sie verschaffen angenehme Kühlung?“ Das Blätterdach spendet Schatten und die Verdunstung darüber transportiert Hitze ab.

Doch mit der Hitze kommt die Trockenheit. Bekommen Bäume zu wenig Wasser aus dem Boden, reduzieren sie die Verdunstung. Der kühlende Effekt nimmt ab - für Baum und Mensch. Dadurch dass die Blätter weiter Sonnenlicht absorbieren, kann es darunter sogar wärmer werden als unter freiem Himmel. Und die Bäumen haben Stress: Weil sie kein Kohlendioxid (CO2) mehr aufnehmen, leiden sie Mangel. Bei anhaltendem Trockenstress werfen manche Bäume ihre Blätter sogar ab. „Das ist zunächst mal ein gesunder Schutzmechanismus“, sagt Andreas Roloff, Baumbiologe an der Technischen Universität Dresden. „Folgen allerdings mehrere Dürrejahre aufeinander, bringt das auch gestandene Exemplare an die Grenzen ihrer Kräfte.“ Der anhaltende Mangel macht sie anfälliger für Wind, Schädlinge und Krankheitserreger.

Klimafest und kühlstark

Roloff beschäftigt sich deshalb seit Jahrzehnten damit, Baumarten zu identifizieren, die den neuen klimatischen Bedingungen künftiger Städte standhalten. „Solche Arten finden wir an Standorten, an denen schon heute regelmäßig Hitze und Dürre auftreten - aber auch Winterfröste, mit denen die Bäume ebenfalls klarkommen müssen“, sagt er. Neben dem natürlichen Standort hat Roloff Merkmale wie die Form oder Behaarung der Blätter katalogisiert, anhand derer sich vorhersagen lässt, ob eine Baumart „klimafest“ ist.

Victoria Volke, Doktorandin am Helmholtz Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle, untersucht derweil, welche Merkmale mit der kühlenden Funktion von Bäumen zusammenhängen. „Die Dichte der Krone ist dafür wichtig und auch, wie stark ein Baum sein Wasserpotential variieren kann - vereinfacht gesagt den Sog, mit dem er Wasser aus dem Boden aufnimmt und bis in die Blätter transportiert“, erklärt die studierte Forstwissenschaftlerin. Ihr langfristiges Forschungsziel ist es, neben den Merkmalen der Kühlfunktion physiologische Strategien zu charakterisieren, die bestimmen, wie resistent Bäume gegen Trockenheit sind: „So können wir Baumarten auswählen, die auch unter künftigen Klimabedingungen ihre Kühlfunktion erfüllen können.“ Verschiedenste Merkmale können diese Funktionen erfüllen. Bei der Auswahl der Baumarten sei es deshalb auch wichtig, auf Vielfalt zu achten, sagt Volke. „Fällt dann an einem Standort eine Art aufgrund von Trockenstress oder Schädlingsbefall aus, können andere den Ausfall abfangen.“

Andreas Roloff
Andreas Roloff
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Schwarzerle
Victoria Volke
Victoria Volke
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Victoria Volke

Anpassung fördern

Und: Bäume passen sich an Umweltbedingungen an. In Experimenten beobachtete Andreas Roloff zum Beispiel, dass Bäume, die schon einmal Trockenstress ausgesetzt waren, spätere Dürreperioden besser überstanden, als Bäume derselben Art ohne vorherige Trockenstresserfahrung. Die Fähigkeit individueller Bäume, sich an die Bedingungen ihres Standortes anzupassen, ist ein wichtiger Faktor in der Planung. Inzwischen gehe man sogar davon aus, dass Bäume individuell erworbene Anpassungsstrategien auch an ihre Folgegenerationen weitergeben können, sagt der Baumbiologe. „Wir sollten also keine Art grundsätzlich aus der Stadtbegrünung ausschließen.“

Am besten können sich Bäume anpassen, wenn sie direkt an ihrem Standort aufwachsen. Stadtbäume wachsen aber in der Regel die ersten 10 bis 20 Jahre in Baumschulen auf. Dort werden ihre Wurzel- und Asttriebe mehrfach eingekürzt. Mit einem kompakten Wurzelballen werden sie dann an ihren Zielstandort gepflanzt. „Manche Schulbäume brauchen 20 Jahre, um aus diesem Ballen herauszuwachsen, sagt Roloff. Eine lange Zeit, in der sie für Dürre besonders anfällig sind. „Ein Sämling dagegen kann im besten Fall innerhalb weniger Wochen meterlange Wurzeln ausbilden. Baumexperte Martin Schreiner vom Pflanzenschutzamt Berlin lobt deshalb Kommunen, die etwa in Grünanlagen und Parks Sämlinge pflanzen und pflegen: „Wenn nach 20 Jahren von 50 Sämlingen drei oder vier gesunde Bäume stehen, ist mit wenig Aufwand viel gewonnen, sagt er. Und plädiert sogar dafür, Bäume zu erziehen: „Indem wir junge Bäume seltener und dafür mit jeweils größeren Mengen Wasser gießen, fördern wir das Tiefenwachstum der Wurzeln. Baumgutachter Zielisch fordert mehr Wildnis in der Stadt zuzulassen: „Dort wo wir möglichst wenig eingreifen, schaffen wir Regenerationsinseln für die Natur, von denen ausgehend eine Revitalisierung der Umgebung stattfinden kann“, sagt er.

Gesunde Bäume, gesunde Menschen

Mehr Natur in der Stadt wünscht sich auch Aletta Bonn, Leiterin des Departments Ökosystemleistungen am UFZ und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv). Sie erforscht und entwickelt naturbasierte Lösungen für gesundheitliche Probleme, die in Städten auftreten. „Hitzestau, Trockenheit, Feinstaub, Abgase oder Lärm: Die Stadt ist ein Lebensraum mit vielen Umweltstressoren, sagt sie. Bäume sorgen für bessere Luft, dämpfen Straßenlärm, spenden Schatten und bieten Lebensraum für Vögel und Insekten. All das hilft Stadtbewohner:innen, Stress abzubauen und Erholung zu finden. Sogar unsere psychische Gesundheit können sie verbessern. „Wir haben beobachtet, dass in Wohngegenden mit vielen Bäumen direkt vor den Häusern weniger Menschen an Depressionen erkranken als in baumärmeren Gegenden“, sagt sie. Bäume könnten also als einfache naturnahe Lösung die physische und psychische Gesundheit von Stadtbewohnern fördern. Bonns Fazit: „Jeder Baum tut gut!“

Martin Schreiner
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Aletta Bonn
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Stefan Bernhardt/iDiv

Ein neues Verständnis von Stadt

Nicht selten gibt es allerdings Interessenkonflikte, insbesondere an Verkehrswegen. Obwohl beispielsweise ein tieferer Ansatz der Krone messbar zur Kühlung beitragen kann, wie Victoria Volke erklärt, werden Äste gekappt, die in Durchfahrtshöhe liegen. Die Bäume leiden zudem unter der starken Verdichtung und Versiegelung des umliegenden Bodens, unter Streusalz und Hundekot. Um die Gesundheit von Bäumen und Menschen zu fördern, sollten wir unsere Städte künftig anders planen, sind sich die Expert:innen einig. „Wir müssen Verkehrswege und Bäume dringend entflechten“, sagt Baumgutachter Zielisch; und Gebäude sollten grundsätzlich begrünt werden. „Es braucht ein neues Verständnis von Stadt: Als Landschaft, eingebunden in ihr Umland, mit dem sie über Grünflächen und -korridore im Austausch steht.

Aletta Bonn sieht in der urbanen Lebensraumgestaltung eine inter- und transdisziplinäre Aufgabe: „Biolog:innen sollten beispielsweise mit Stadtplaner:innen und Psycholog:innen zusammenarbeiten“, appelliert sie. „Auf kommunaler Ebene könnte dann das Grünflächen- mit dem Gesundheitsamt gemeinsam gesunde, naturbasierte Strukturen konzipieren und finanzieren.“ Das Umdenken und Umlenken in der Städteplanung sollte aus ihrer Sicht jetzt stattfinden. „Denn eines wissen wir sicher: Bäume sind ein einfaches und wirksames Mittel, unsere Städte und ihre Bewohner:innen fit für die Zukunft zu machen.“

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