21.09.2022
Fenja De Silva-Schmidt

Klimaschutz und Generationengerechtigkeit – Gibt es ein Recht auf Zukunft?

Viele junge Menschen sind von der aktuellen Klimapolitik frustriert – sie sorgen sich um ihre zukünftige Sicherheit und Gesundheit. Inzwischen wird auch vor Gericht immer häufiger darum verhandelt, ob mangelnder Klimaschutz junge Menschen und zukünftige Generationen unverhältnismäßig benachteiligt. Doch wie müsste ein generationengerechter Klimaschutz aussehen?

„Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“ – dieser Demo-Spruch begleitet die Proteste von Fridays for Future seit Beginn der Bewegung. Bestimmt wird er auch beim nächsten Klimastreik am 23. September wieder zu hören sein. Der Spruch fasst einen Konflikt prägnant zusammen: Junge Menschen, das „wir“ bei Fridays for Future, fühlt sich von der Generation ihrer Eltern und Großeltern um eine gute Zukunft betrogen. Sie befürchten, dass die Folgen des Klimawandels zum Verlust von Sicherheit und Wohlstand sowie gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen werden.

Jugend besonders betroffen

Die jungen Menschen finden es ungerecht, dass frühere Generationen maßgeblich zum Klimawandel beigetragen, sich nicht für den Klimaschutz eingeschränkt haben und dies zum Teil auch weiterhin nicht tun wollen, während sie selbst und künftige Generationen – also alle in den kommenden Jahrzehnten geborenen Menschen – mit einem deutlich knapperen CO2-Budget wirtschaften müssen, um das Zwei-Grad-Ziel einzuhalten. Hinzu kommt: Junge Menschen müssen nicht nur stärkere Einschränkungen ihrer persönlichen Freiheit in Kauf nehmen, sondern sind heute schon stärker von den Folgen des Klimawandels betroffen als frühere Generationen.

Richtig ist, dass der Großteil der historischen CO2-Emissionen in den letzten sechs Jahrzehnten produziert wurde, und das insbesondere in den westlichen Industrienationen. Von 1960 bis 2019 hat der weltweite CO2-Ausstoß zudem kontinuierlich zugenommen. Doch in welcher Form daraus eine Verantwortung für den Klimaschutz resultiert, ist eine umstrittene Frage. Wie könnte eine gerechtere Verteilung der Lasten des Klimawandels aussehen? Junge Aktivist:innen sind sich einig, dass dafür schnellerer und besserer Klimaschutz nötig wäre. Denn nur wenn jetzt stärkere Anstrengungen im Klimaschutz unternommen werden, tragen die verantwortlichen Generationen auch einen großen Teil der daraus entstehenden Lasten. Die politischen Prozesse erscheinen vielen jungen Menschen jedoch zu langsam. Ein Mittel, um Druck auszuüben und Entscheidungen zu erzwingen, können Gerichtsverfahren sein.

Sophie Backsen
Sophie Backsen
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Andreas Hornoff

Klimaschutz vor Gericht

Sophie Backsen, Studentin der Agrarwissenschaft in Kiel, hat gemeinsam mit anderen jungen Menschen und mehreren Umweltschutzorganisationen beim Bundesgerichtshof eine Verfassungsbeschwerde gegen die aus ihrer Sicht unzureichende Klimaschutzpolitik der Bundesregierung eingelegt. Das Gericht gab ihr im April 2021 Recht und die Regierung musste ihre Klimaschutzziele nachbessern. Denn Klimaschutz an sich ist zwar kein Grundrecht. Aber die bisherigen Vorgaben sahen einen großen Teil der Emissionsminderungen erst nach 2030 vor, was die Freiheitsrechte der Klagenden verletze, so das Bundesverfassungsgericht. Damit ist das Verfahren die bisher erfolgreichste Klimaklage in Deutschland. „Die Politikerinnen und Politiker der jetzigen Generation verschieben die größten Reduktionsbemühungen in unsere Zukunft – dabei muss jetzt mehr getan werden, damit zukünftige Generationen nicht zu stark eingeschränkt werden“, sagt Backsen. Auch wenn das Urteil des Verfassungsgerichts ein großer Erfolg für den Klimaschutz war, sei es noch lange nicht ausreichend: „Da ist noch viel Platz nach oben. Es wurden ja auch keine konkreten Vorgaben gemacht. Aber das Urteil ist eine gute Grundlage für zukünftige Forderungen.“ Aus ihrer Sicht sollte bei allen gesellschaftlichen Großprojekten wie beispielsweise der Verkehrswende die Perspektive zukünftiger Generationen noch stärker mitgedacht werden, um für mehr Generationengerechtigkeit zu sorgen.

Urteil mit Signalwirkung

Christian Bickenbach, Professor für Verwaltungsrecht an der Universität Potsdam, sieht in der erfolgreichen Klimaklage vor dem Bundesverfassungsgericht ebenfalls ein Urteil mit Signalwirkung. Er forscht zum Thema Klimaklagen und beschreibt, dass es aktuell viele andere Klima-Klageverfahren gibt, die allerdings noch in erster Instanz verhandelt werden, etwa vor Landgerichten. Die Urteile können also anschließend noch angefochten und von höheren Gerichten neu verhandelt werden. Er vermutet, dass die Klagen, je nach Ausgang der Verfahren, noch weiter nach oben vor anderen Gerichten verhandelt werden, sodass abschließende Urteile wohl erst in den nächsten Jahren zu erwarten sind. Doch bereits jetzt verschaffen die Verfahren, ganz im Sinne der strategischen Prozessführung, dem Thema Klimagerechtigkeit zu größerer Aufmerksamkeit.

„Letztlich können diese Verfahren jedoch nur ein Anstoß sein – der Gesetzgeber müsste selbst aktiv werden und konkret die gerechte Verteilung der Lasten im Klimaschutz angehen. Diese politische Diskussion ist nicht Sache der Justiz, sondern Generationengerechtigkeit gehört ins Parlament“, so Bickenbach.

Christian Bickenbach
Christian Bickenbach
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Sandra Scholz
Erik Gawel
Erik Gawel
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Sebastian Wieding / UFZ

Was ist gerecht?

Doch (wie) kann man beziffern, was gerecht wäre? Hier kann die Wissenschaft Anhaltspunkte geben. Die Nachhaltigkeitsökonomie ist sich in dieser Frage einig: Aus ökonomischer Sicht ist zügiges Handeln beim Klimaschutz nicht nur gerechter zukünftigen Generationen gegenüber, sondern auch effizienter. „Je später wir handeln, desto teurer wird es für die Gesellschaft am Ende“, erklärt Erik Gawel, Professor für Volkswirtschaftslehre, am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig. Auch wenn die Menschen Klimaschutzmaßnahmen heute als belastend empfinden, seien deren reale Kosten deutlich geringer als die Folge-Kosten von unwiderruflichen Veränderungen im Erdsystem, so Gawel.

Die stärkste Generationen-Ungerechtigkeit zeige sich laut Gawel gerade „in der Nahaufnahme“ auf die aktuellen Jahrzehnte, in denen einerseits große Anstrengungen für die Transformation unternommen werden müssen und gleichzeitig schon negative Folgen des Klimawandels spürbar werden. Doch gerade deswegen lohne sich Klimaschutz langfristig: „Klimaschutz heute soll ja eigentlich für Gerechtigkeit sorgen, indem er künftige Generationen entlastet und ihnen ein dekarbonisiertes Wirtschaftssystem hinterlässt.“

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