08.08.2022
Lars Klaaßen

Mit Digitalisierung den Klimawandel bremsen – oder ihn befeuern?

Online-Shopping, Videostreaming oder Gaming – digitale Technologien spielen in unserem Alltag eine immer größere Rolle. Für den Klimaschutz ist das nicht immer gut. Es kommt vielmehr darauf an, die Technologien richtig zu nutzen. Anderenfalls laufen wir Gefahr, unseren Energie- und Ressourcenverbrauch unnötig zu steigern.

Irmela Colaço
Irmela Colaço
Irmela Colaço
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BUND e.V.

Homeoffice und Videokonferenzen, Streaming und Computerspiele, online shoppen, buchen und Tickets kaufen: Digitalisierung ist Alltag. Das Versprechen dabei: Wir könnten Zeit und Geld sparen. Gut fürs Klima soll das Ganze auch noch sein, weil zum Beispiel viele Dienstreisen oder manches Pendeln zum Arbeitsplatz entfallen, weniger Papier und andere Ressourcen verbraucht werden. „Doch ganz so einfach ist es nicht“, sagt Irmela Colaço, Projektleiterin Energiesparen beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Denn egal, wo und wofür wir uns im digitalen Raum bewegen: „Wir hinterlassen reale ökologische Spuren.“

Das beginnt beim Abbau der Rohstoffe, die für die Herstellung von Smartphones, Laptops und anderer Geräte benötigt werden. Materialien wie Lithium oder Kobalt werden größtenteils in den ärmeren Ländern des globalen Südens aus der Erde geholt. Dafür wird dort oft die massive Zerstörung der Natur in Kauf genommen. In Chile etwa wird Lithium aus Salzseen gewonnen und dabei der Grundwasserspiegel gesenkt. Dies zerstört die Vegetation und befeuert den Klimawandel, weil dadurch weniger natürliche CO2-Speicher zur Verfügung stehen.

Die Rohstoffe können im nächsten Schritt nur mit erheblichem Energieaufwand zu Endgeräten weiterverarbeitet werden. Wenn wir diese Geräte nutzen, frisst das auch noch mal viel Energie. So verbraucht es mehr Energie, einen Film zu streamen, als ihn übers lineare Fernsehprogramm zu gucken. Der BUND hat vom Öko-Institut abschätzen lassen, welchen CO2-Fußabdruck wir durch unseren digitalen Alltag hinterlassen. Laut Öko-Institut verbrauchen Server in Rechenzentren insgesamt mehr Strom, als unsere Endgeräte. Andere Wissenschaftler:innen kommen zwar zum umgekehrten Ergebnis, prognostizieren jedoch, dass Rechenzentren künftig deutlich mehr Energie verbrauchen werden, während Endgeräte immer weniger benötigen werden. „Pro Person kommen im Schnitt 740 Kilogramm Treibhausgase pro Jahr zusammen“, so Colaço. „Das entspricht der Klimawirkung eines Flugs von München nach Madrid und wieder zurück.“ Das Öko-Institut kommt sogar auf mehr als 800 Kilogramm CO2 pro Jahr. In diesen Rechnungen ist allerdings nicht nur der Energieverbrauch für unser Verhalten (wie etwa Streamen) enthalten, sondern auch der für die Herstellung von verschiedenen Geräten. Das verzerrt den Vergleich mit dem Fliegen ein wenig, denn dabei ist der Bau des Jets nicht eingerechnet.

Digitalisierung im Dienste der Forschung

Die Frage nach dem Verbrauch von Energie und Ressourcen steht immer auch in Relation zum Nutzen der Anwendungen. In der Forschung sind die Möglichkeiten durch die Digitalisierung enorm gewachsen. So werden etwa Klimamodelle aber auch sogenannte Impakt-Modelle, die die Folgen des Klimawandels auf unsere Umwelt abschätzen, immer genauer: „Manches, was sich vor zehn Jahren in Modellen zur Abschätzung der Auswirkungen des Klimawandels lediglich regional berechnen ließ, kann heute in hoher Auflösung für ganze Kontinente berechnet werden“, erläutert Sabine Attinger, die am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) den Themenbereich „Smarte Modelle und Monitoring“ leitet. „Außerdem liefern heute Klimamodelle, die dann Impaktmodelle antreiben, viel höher aufgelöste Simulationsergebnisse. Wenn uns früher globale Simulationen mit einer Auflösung von hundert mal hundert Kilometern als kleinste Größe zur Verfügung stand, werden uns bald durch die europäische Initiative DestinE sehr hoch aufgelöste Klimasimulationen in Quadratkilometerauflösung zur Verfügung stehen.“

Sabine Attinger
Sabine Attinger
Sabine Attinger
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Sebastian Wiedling/UFZ

All dies ist allerdings sehr zeit- und ressourcenaufwendig, es kostet viel Energie und verursacht entsprechend viel CO2. Die Helmholtz-Zentren nutzen bewusst Ökostrom, um auch diesen Effekt zu minimieren. Daher sind die Wissenschaftler:innen um Attinger bemüht, Modelle so einfach wie möglich und so komplex wie nötig zu entwickeln. Dabei gehen die Forschenden zum Beispiel davon aus, „dass großskalige Phänomene wie etwa der Abfluss von Wasser aus einem Gebiet nicht von allen kleinskaligen Eigenschaften dieses Einzugsgebiets abhängen“, so Attinger. Nicht alles, was technisch erfasst werden kann, wird auch in jedem Modell benötigt.

Um den hohen Anforderungen an die Rechenleistungen der Modelle gerecht zu werden, wird auf nationaler Ebene eine nationale Erdsystemmodell-Strategie und ein gemeinsames Rechnerkonzept zur Erdsystemmodellierung mit Unterstützung des Deutschen Klima-Rechenzentrum DKRZ entwickelt. „Bei unserer Forschung zum Klimawandel bedenken wir unseren Anteil mit“, betont Attinger. Grundlage dafür sei nicht zuletzt, dass das Leipziger Helmholtz-Zentrum Ökostrom beziehe. „Wir als Modellentwickler:innen achten zum Beispiel auf die Effizienz der Codes, die wir programmieren.“ Damit lasse sich der Energieverbrauch der Computer senken. „Hierfür in der Forschung ein Zertifizierungssystem zu etablieren, wäre sinnvoll.“

Johannes Orphal
Johannes Orphal
Johannes Orphal
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Rolf F. Wenzel

Verstehen und verändern: mit Zwilling

„Neben dem Erkenntnisgewinn steht die Wissenschaft angesichts des Klimawandels noch vor einer zweiten großen Aufgabe“, sagt Johannes Orphal, Leiter des Bereichs „Natürliche und gebaute Umwelt“ am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Sie müsse nicht nur die Dynamik des Klimawandels erfassen, sondern auch die Möglichkeit zum Umsteuern schaffen. „Beschränken wir uns auf das erste, wäre das wie beim Arzt, der zwar eine korrekte Diagnose erstellt, aber keinen Heilungsplan.“ Seit dem Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert befeuerten Menschen den Klimawandel. Alles Verständnis für diesen Prozess nütze nichts, wenn unser Wirtschaften nicht bald auf klimaneutrale Prozesse umgestellt werde. Von großer Bedeutung sei dabei die Energiewende – weg vom Verbrennen fossiler Energien hin zu erneuerbaren Energien wie Sonne und Wind. Auch dabei werde die Digitalisierung eine wichtige Rolle spielen.

Statt weniger großer Kraftwerke werden dann nämlich viele kleine Erzeuger Input liefern. „Dabei ermöglichen es neue digitale Instrumente, die komplexen Prozesse von schwankenden Einspeisungen und Verbräuchen zu steuern“, erläutert Orphal. „Wasserstoff wird als Energieträger, der sich als Kraftstoff oder Zwischenspeicher nutzen lässt, eine zentrale Rolle spielen.“ Die Sektoren unseres Energiesystems würden künftig eng miteinander gekoppelt, von der Erzeugung bis zum Verbrauch.

Das KIT arbeitet an diesem hochkomplexen Zusammenspiel von elektrischen, thermischen und chemischen Energieträgern. „Unser Energy Lab 2.0 etwa ist ein einzigartiges Reallabor für die Energiewende“, sagt Orphal.  Dort steht eine Vielzahl von Komponenten, real aufgebaut, unter anderem 102 Photovoltaik-Teilanlagen sechs verschiedener Modultypen und vier verschiedene Wechselrichter unterschiedlicher Hersteller. Fehlende Elemente, wie  etwa große Elektrolyseure oder Windparks, werden virtuell in das Smart Energy System Simulation and Control Center eingebunden. Solche „digitalen Zwillinge“ nehmen die analoge Zukunft vorweg. Wenn alles nach Plan läuft, sind sie die self fulfilling prophecy der ganz realen Energiewende.

Den eigenen digitalen CO2-Fußabdruck klein halten

  • Selten neue Geräte kaufen und diese so lange wie möglich verwenden.
  • Geräte ausschalten, statt sie im Stand-by-Modus weiter Strom ziehen zu lassen. Damit ließen sich die Stromkosten in einigen Haushalten um über 100 Euro pro Jahr senken.
  • Je kleiner ein Bildschirm ist, auf dem ein Video läuft, desto weniger Energie verbraucht er: im eigenen Haushalt und auch für die Übertragung von Daten beim Streamen. Je kleiner der Bildschirm, desto weniger Auflösung – also Daten – ist für ein scharfes Bild vonnöten.
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