03.10.2022
Christian Mihatsch

In Scharm el-Scheich droht ein Agendastreit

Die Klimakrise verursacht immer größere Schäden. Das wollen die Entwicklungsländer zum Schwerpunkt der UN-Klimakonferenz machen. Die Industriestaaten hingegen wollen über die Senkung der Emissionen diskutieren. Dieser Streit könnte wertvolle Zeit kosten.

Die 27. UN-Klimakonferenz (COP27) im November im ägyptischen Badeort Scharm el-Scheich wird vor dem Hintergrund schnell eskalierender Folgen der globalen Erwärmung stattfinden. Im Jahr 2022 war die gesamte Nordhalbkugel der Erde von Hitzewellen und einer schweren Dürre betroffen – von Europa über die USA bis China. In Pakistan kam es anschließend zu einer Überschwemmung, die mehr als ein Zehntel des Landes betraf und zu mehr als 1500 Toten führte. Auch die Kosten derartiger Extremwetterereignisse sind enorm. Die Flutkatastrophe letztes Jahr im Ahrtal hat gemäß dem Rückversicherer Munich Re Schäden im Wert von 33 Milliarden Euro angerichtet. Im Vergleich zum deutschen Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 3570 Milliarden Euro ist das verkraftbar. Anders sieht das jedoch in vielen Inselstaaten aus: Hurrikan Maria etwa verursachte auf Dominica im Jahr 2017 Schäden von 1,37 Milliarden Dollar, was 226 Prozent des dortigen BIPs entspricht.

Mit diesen Folgen der Klimakrise stehen die Länder weitgehend alleine da, denn es gibt keinen Finanzmechanismus für angemessene Unterstützung. Die Klimahilfen der Industriestaaten sind einzig für die Senkung der Emissionen und die Anpassung an den Klimawandel gedacht, nicht aber zur Kompensation unwiederbringlicher Verluste oder zur Behebung von Schäden. Die Entwicklungsländer und insbesondere die kleinen Inselstaaten verlangen seit Jahrzehnten, dass Verluste und Schäden abgesichert werden, doch die Industriestaaten haben dies bislang immer abgelehnt. Letztere fürchten, dass die Entwicklungsländer andernfalls einen Anspruch auf Schadenersatz erheben könnten. Simon Stiell, der neue Chef des UN-Klimasekretariats, möchte dennoch über das Thema verhandeln: „Verluste und Schäden müssen angesprochen werden. Es ist eine sehr schwierige Diskussion, aber es ist eine Diskussion, die geführt werden muss. Die Positionen haben sich im Laufe der Jahre aufgeweicht, von der Ablehnung und der Weigerung, darüber zu sprechen, bis hin zu einem Punkt, an dem diese Themen nun auf der Tagesordnung der Verhandlungen stehen."

UN-Chef António Guterres teilt diese Meinung. „Es ist höchste Zeit, über endlose Diskussionen hinauszugehen. Verluste und Schäden treten jetzt auf, schaden Menschen und Volkswirtschaften jetzt und müssen jetzt angegangen werden – beginnend auf der COP 27“, sagte Guterres in seiner Rede in der UN-Generalversammlung. Dass Verluste und Schäden bei der Konferenz angemessenen Raum bekommen, ist allerdings nicht sicher. In Glasgow hatten sich die Länder darauf geeinigt, das Thema in einem Dialogformat bis zum Jahr 2024 zu diskutieren. Viele Industriestaaten, allen voran die USA, werden daher vermutlich argumentieren, man solle das Ergebnis der Dialoge abwarten und erst im Jahr 2024 wieder auf Verluste und Schäden zurückkommen. Wie diese Diskussion ausgehen wird, hängt auch von Deutschland ab: Jennifer Morgan, Staatssekretärin im Außenministerium, wurde damit beauftragt, zusammen mit ihrer chilenischen Kollegin die entsprechenden Sondierungen zu leiten. „Viele Länder werden bei Verlusten und Schäden auf Deutschland schauen“, sagt daher Professor Reimund Schwarze vom Helmholtz Zentrum für Umweltforschung.

Dabei ist Deutschland gut vorbereitet: „Mit dem „Global Shield Against Climate Risks“ haben wir als einziges Industrieland eine Strategie zum Umgang mit Verlusten und Schäden in die Diskussion eingebracht“, sagt Schwarze. Dieses Schutzschild konnte Deutschland in der Abschlusserklärung des diesjährigen G7-Gipels auf Schloss Elmau verankern. Trotzdem mahnt Schwarze zur Vorsicht: „Ob dies den am schwersten betroffenen Inselstaaten und Küstenländern des Südens reichen wird, bleibt aber abzuwarten.“

Bei diesen Verhandlungen kommt erschwerend hinzu, dass in Scharm el-Scheich auch ein Prozess aufgesetzt werden soll, um über die Klimahilfen ab dem Jahr 2025 zu entscheiden, mit denen die Industriestaaten den Klimaschutz und die Anpassung an die Erwärmung in den Entwicklungsländern unterstützen. Aufgrund der Überschneidung der Themen Verluste und Schäden und Klimahilfen besteht die Gefahr, dass sich die beiden Diskussionen gegenseitig blockieren. Und schließlich wollen die Industriestaaten natürlich eine Gegenleistung sehen, wenn sie sich bei diesen Themen bewegen. Der Leiter der Schweizer Verhandlungsdelegation, Franz Perrez, sagt, was aus seiner Sicht die Priorität in Scharm el-Scheich sein sollte: „Das wichtigste Thema sollte die Minderung der Emissionen und namentlich die Verabschiedung eines Arbeitsprogramms sein. Glasgow hat ja explizit beschlossen, dass das an der COP 27 geschehen soll.“ Vor diesem Hintergrund ist es denkbar, dass es zu Beginn der Konferenz in Scharm el-Scheich zu einer langen, vielleicht tagelangen, Diskussion über die Schwerpunkte der Konferenz kommen wird: Die Industriestaaten wollen Emissionen prominent in der Tagesordnung verankern und die Entwicklungsländer Geld für Klimaschutz sowie für Verluste und Schäden.

Abgesehen von den drei großen Themen ist wieder mit sektorspezifischen Initiativen zu rechnen. „Vorausgesetzt Lula da Silva gewinnt in Brasilien die Stichwahl für die Präsidentschaft, wird es eine Waldinitiative geben", vermutet Schwarze. Möglich sind auch Initiativen, die gezielt die Probleme afrikanischer Länder adressieren, damit die Konferenz wirklich zu einer African COP wird, wie die ägyptische Konferenz-Präsidentschaft angekündigt hat. Am Rande der Konferenz könnten zudem neue bilaterale Initiativen angekündigt werden. Letztes Jahr etwa hat Südafrika mit einigen Geberländern wie Deutschland vereinbart, einen Plan für den Kohleausstieg zu entwickeln. An ähnlichen Plänen arbeiten nun Geberländer und Asiens Entwicklungsbank ADB auch mit Indonesien und Vietnam. Die dortigen Kohlekraftwerke sind oft noch sehr neu und haben sich noch nicht amortisiert. Daher sind raffinierte Finanzkonstrukte erforderlich, wenn diese vor Ablauf ihrer Nutzungsdauer stillgelegt werden sollen. Vor dem Hintergrund der Schuldenkrise in vielen Entwicklungsländern könnten zudem Debt for Nature Swaps vereinbart werden. Dabei werden einem Land Schulden erlassen, wenn sich das Land dazu verpflichtet, einen Teil des gesparten Gelds in Maßnahmen zum Klima- und Artenschutz zu investieren. Ende September wurde bekannt, dass der karibische Inselstaat Barbados dank eines solchen Swaps knapp ein Drittel seiner Meeresgebiete unter Schutz stellen wird.

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