27.06.2022
Anja Krieger

Weltpolitik für den Ozean

Überfischung, Versauerung, Erwärmung, Meeresspiegelanstieg, Vermüllung und Artensterben: Die Situation in den Meeren ist dramatisch. Bei der Ozeankonferenz der Vereinten Nationen in Lissabon und den G7 wurden Lösungen diskutiert. Welche Schritte sollten die Staaten für den Meeresschutz gehen, und wie würde das auch den Klimaschutz voranbringen?

Die Meere nehmen zwei Drittel der Erdoberfläche unseres „blauen Planeten“ ein und sind ein wichtiger Faktor für die Stabilität des Klimas und der menschlichen Zivilisation. So puffern die Ozeane die Ursachen des Klimawandels deutlich ab, indem sie 93 Prozent der Wärme und 25 Prozent des Kohlendioxids (CO2) speichern. Das allerdings hat Nebenwirkungen, die zunehmend zur Bedrohung werden: Der Meeresspiegel steigt und marine Hitzewellen nehmen zu. Außerdem verringert das saurere und wärmere Wasser die Fähigkeit des Meeres, CO2 und Sauerstoff aufzunehmen, und verändert marine Kreisläufe, die Artenvielfalt sowie Ökosysteme und deren wichtige Rolle für das Klima. 

In den vergangenen 150 Jahren, also seit Beginn der industriellen Revolution, sind die Meere um etwa ein Drittel saurer und deutlich sauerstoffärmer geworden. In den Polarregionen schwindet das Meereis aufgrund der Erwärmung, und der Meeresspiegelanstieg nimmt immer schneller zu. Das System Erde verändert sich seither dramatisch. 

Kein Wunder, dass die Bedeutung der Meere deshalb zurzeit auf höchster politischer Ebene diskutiert wird. So will die G7-Gruppe der sieben weltweit bedeutenden Wirtschaftsnationen den Schutz und die Erforschung der Ozeane mit dem G7 Ocean Deal stärker in den Fokus rücken. Parallel richteten Portugal und Kenia vom 27. Juni bis 1. Juli die zweite UN Ocean Conference in Lissabon aus, pandemiebedingt zwei Jahre später als geplant. Es ging um den Meeresschutz, einschließlich der Bedeutung von Klimaschutz, die Reduktion der Verschmutzung und nachhaltige Nutzung sowie Ozeanbeobachtungen, Vorhersagen und die internationale Kooperation der Wissenschaft.

Darum ging es bei der Konferenz in Lissabon

  • Die Folgen des Klimawandels für die Meere, wie Erwärmung, Sauerstoffmangel und Versauerung
  • Die Verschmutzung etwa durch Plastik, Öl, Pestizide, Munition, Dünger oder Schwermetalle
  • Nachhaltige Aquakultur- und Fischereimethoden, um der Überfischung entgegenzuwirken
  • Den Schutz von marinen und küstennahen Ökosystemen und seine Finanzierung 

Für die Vereinten Nationen ist der Schutz des Lebens unter Wasser eines der wichtigen globalen Entwicklungsziele, verankert als Sustainable Development Goal (SDG) Nummer 14.

In der gemeinsamen "Erklärung von Lissabon" unterstrichen Regierungsvertreter:innen auf der Ozeankonferenz die Dringlichkeit zum Handeln. Die zentrale Frage ist allerdings, wie sich der Meeresschutz effektiver als bisher umsetzen lässt. Viele Gebiete weit draußen im Meer, die nicht in die Zuständigkeit einzelner Länder fallen, sind schwer zu kontrollieren und schützen – trotz internationalem Seerecht und Abkommen, etwa gegen illegale Fischerei und die Vermüllung durch die Schifffahrt.

Die Lage ist sehr ernst. "Uns bleibt nicht viel Zeit, gegenzusteuern," sagt Katja Matthes, Direktorin vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. "Es geht um die wichtige Rolle, die der Ozean für das Klima auf unserem Planeten und die Ernährung von Milliarden von Menschen spielt sowie um den Erhalt des einzigartigen marinen Ökosystems. Wir wissen bereits sehr viel und können noch handeln – und das ist auch unser Ziel für die UN-Ozeandekade: Vom Wissen ins Handeln kommen." 

Eine Vielzahl von Stressfaktoren für die Meere

„Im Ozean verschieben sich durch den menschengemachten Klimawandel viele Faktoren gleichzeitig", sagt Martin Visbeck, der am GEOMAR zu Meeresströmungen und Klimadynamik forscht und an der UN-Ozeankonferenz in Lissabon teilnimmt.  „Das heißt, Lebewesen sind einer ganzen Reihe von Stressfaktoren ausgesetzt. Außerdem verändern sich Dynamiken, die zurzeit noch zu unseren Gunsten wirken.“ Die UN-Ozeankonferenz habe die Möglichkeit geboten, mit Kolleg:innen aus Politik, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft auf der ganzen Welt globale Lösungen für den Meeresschutz zu schaffen. 

Die Ozeane sorgen dafür, dass der Großteil der Erderwärmung aufgenommen und umverteilt wird. „Viele Lebewesen im Meer sind enorm empfindlich gegenüber Temperaturänderungen, besonders auch im Larvenstadium," erklärt Antje Boetius, Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). „Die Risiken, das ganze Nahrungsnetz zu gefährden, steigen weiter, denn neue Forschungsergebnisse zeigen, wie vernetzt das Leben ist von den Polarregionen bis in die Tropen."

Wissenschaftler:innen schätzen, dass Meereslebewesen von der Vielzahl der steigenden und sich verstärkenden Stressfaktoren sogar bedrohter sind als Landlebewesen. Da sie aber so wichtig für unser Leben sind – vom Küstenschutz, über die Sauerstoffproduktion bis zur Rückholung von CO2 aus der Atmosphäre –sind umfassende Schutzkonzepte wichtig.

Die Meere sind nämlich langfristig ein sehr wichtiger Speicherort für Kohlenstoff. Durch die Aufnahme von CO2 reduzieren sie den Gehalt des Treibhausgases in der Luft. Die Ozeane speichern rund ein Viertel des CO2, das wir Menschen jedes Jahr ausstoßen. Doch je wärmer die Meere werden und desto mehr Schaden das Leben dort nimmt – zum Beispiel durch das zunehmende Ausbleichen von Korallenriffen und den Verlust von Mangroven, Algenwäldern und Seegraswiesen –, desto stärker geht dem Menschen diese Unterstützung durch den Ozean verloren. Auch deshalb ist es so wichtig, Klima-, Meeres- und Artenschutz zusammen zu denken.

Schutzzonen und blauer Kohlenstoff

Forscher:innen raten, mindestens 30 Prozent der Meere unter Schutz zu stellen. Ende des Jahres soll diese Empfehlung im Rahmen neuer internationaler Biodiversitätsziele auf der Weltnaturkonferenz der Konvention für Biologische Vielfalt (CBD) vereinbart werden.

"Um die Ozeane und damit auch das Klima zu schützen, brauchen die Lebewesen im Meer Rückzugsorte, in denen sie sich ungestört entfalten können", sagt Sebastian Unger, Leiter der Forschungsgruppe Governance der Ozeane am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS).

"Neben Schutzgebieten in küstennahen Gewässern brauchen wir auch umfassende Wege und Kontrollmechanismen, um das Leben in den internationalen Gewässern der Hoch- und Tiefsee zu bewahren. Die Verhandlungen für ein Hochsee-Schutzabkommen der UN müssen dieses Jahr daher dringend abgeschlossen werden."

Expert:innen vor Ort

Diese Wissenschaftler:innen haben an der Ozeankonferenz in Lissabon teilgenommen:

Presseanfragen können direkt über die Helmholtz-Zentren, das IASS und das HIFMB gestellt werden.

Zwei Taucher stehen im kniehohen Wasser der Ostsee
Seegraswiesen
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Gemeinsam mit dem Bundesumweltministerium hat die Forschungsgruppe am IASS Empfehlungen für die deutsche Politik erarbeitet. Darin betonen die Wissenschaftler:innen die Bedeutung von marinen Ökosystemen, die besonders viel Kohlenstoff speichern können, darunter Seegraswiesen und Mangroven. Fachleute nennen diesen Kohlenstoff im Meer Blue Carbon. „Der Erhalt und die Wiederherstellung von Ökosystemen, die blauen Kohlenstoff einlagern, hat viele Vorteile – sowohl für den Klimaschutz als auch für den Erhalt bedrohter Arten und Lebensräume,“ erklärt Barbara Neumann, Senior Scientist am IASS.

Wieviel Kohlenstoff die Seegraswiesen der Ost- und Nordsee speichern können, erforschen Wissenschaftler:innen am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum Hereon und am GEOMAR. Der Erhalt der grünen Unterwasserwelten hilft, mehr CO2 aufzunehmen und die Lebensvielfalt zu stärken. Wo die Ökosysteme einmal waren, aber verschwunden sind, könnte man sie neu anpflanzen –  viel effektiver ist aber, sie direkt zu schützen.

„Die Nutzung der Meere und Küsten wird sich in den kommenden Jahrzehnten enorm intensivieren,“ sagt Corinna Schrum, Leiterin des Instituts für Küstensysteme am Helmholtz-Zentrum Hereon, mit Verweis auf Klima-Maßnahmen wie den Ausbau der Offshore-Windkraft. „Deshalb ist es wichtig, dass wir in der Wissenschaft die Potentiale von Meeren und Küsten identifizieren, die Folgen menschlicher Nutzungen abschätzen und wirkungsvolle Schutzkonzepte entwickeln.“

„Für ein ganzheitliches Verständnis der Meere braucht es noch intensivere Forschung. Wir benötigen viele aussagekräftige Daten, mit denen wir Klima- und Erdsystemmodelle verbessern können," sagt Martin Visbeck. „Durch so genannte digitale Ozeanzwillinge – modellbasierte Abbilder vom Ozean, mit denen interagiert und Szenarien erprobt werden können – wird bereits ein erster übergreifender Ansatz geschaffen, fundierte und wissenschaftsbasierte Entscheidungen für den realen Zwilling zu treffen.“

Auch die Vereinten Nationen wollen die Forschung vorantreiben und haben das Jahrzehnt bis 2030 deshalb zur Dekade der Ozeanforschung erklärt.

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