Macht der Klimawandel Pause?

Behauptung: „Der letzte Winter war echt kalt – das passt doch nicht zur Theorie vom Klimawandel!“

Behauptung: „Der zweite außergewöhnlich kalte Winter in Nordeuropa und Nordamerika kündigt sich an, und schon gibt es erste Zweifel an der durch Klimagase verursachten globalen Erwärmung.“ 
Ex-RWE-Manager Fritz Vahrenholt, Dezember 2010


Fakt ist: Ein kalter Tag (oder auch ein kalter Winter) ändert nichts am langfristigen Trend der Erderwärmung
Antwort

Antwort: Seit Mitte des letzten Jahrhunderts ist der weltweite Durchschnitt der Temperaturen um etwa 0,12° Celsius pro Jahrzehnt gestiegen. Dieser langfristige Klimatrend wird aber überlagert durch kurzfristige Ausschläge des Wetters nach oben und unten. Trotz Erderwärmung ist immer wieder auch mit Kälterekorden zu rechnen. Aber bei genauer Betrachtung der Temperaturextreme im letzten Jahrzehnt fällt auf: Es gab doppelt so viele Hitze- wie Kälterekorde.

Wann immer es in einem Winter ein paar besonders kalte Tage gibt, ist von Neuem die Aussage zu hören: Mit dem Klimawandel könne es ja nicht soweit her sein! Offenbar ist es für viele Menschen schwierig, das aktuelle Wettergeschehen und langfristige Klimatrends auseinanderzuhalten.

In gewissem Sinne ist dies sogar verständlich. Denn große Kälte ist eine starke körperliche Erfahrung – langfristige Temperaturänderungen aber kann man nicht direkt spüren, und Erinnerungen an warme Sommer oder kalte Winter sind oft trügerisch. Es ist nicht unbedingt leicht, den Unterschied zwischen Wetter (also der momentanen Temperatur) und Klima (wissenschaftlich definiert als der mindestens 30-jährige Durchschnitt der Temperaturen) zu begreifen. Die Situation lässt sich ein bisschen mit einem Besuch am Meer vergleichen: An den meisten Stränden ist es praktisch unmöglich, nur durch Beobachten einzelner hereinkommender und ablaufender Wellen herauszubekommen, ob gerade Flut oder Ebbe herrscht - denn der langsame Gezeitenwechsel wird durch das kontinuierliche Aufschäumen der Wellen überlagert.

So ähnlich erschwert das natürliche Auf und Ab des Wetters ein Erkennen der langsamen Veränderungen des Klimas. Um dessen Trends zu identifizieren, hilft ein Blick auf die langfristige Wetterveränderung. Und schaut man beispielsweise auf die in den USA in den letzten Jahrzehnten gemessenen Höchst- und Tiefsttemperaturen (siehe Abbildung 1), dann sticht ins Auge, dass neue Höchsttemperaturrekorde mittlerweile ungefähr doppelt so häufig auftreten wie Tiefsttemperaturrekorde.

Abbildung 1: Verteilung von Temperaturextremen (Tageshoch und Tagestief) an rund 1.800 Wetterstationen in den 48 zusammenhängenden Bundesstaaten der USA zwischen Januar 1950 und September 2009 – die Balken zeigen die Verteilung der Rekordwerte in den einzelnen Jahrzehnten, rot verzeichnet sind Hitze-, blau verzeichnet sind Kälte-Rekorde. In den sechziger und siebziger Jahren gab es jeweils etwas mehr Rekordkälten als -hitzen, aber in den vergangenen drei Dekaden dominierten (mit zunehmender Tendenz) die Hitzerekorde; Quelle: University Corporation for Atmospheric Research (UCAR) 2009

Es ist sicher, dass es auch künftig kalte Winter geben wird, die Rekorde brechen können. Doch durch den Einfluss der langsam fortschreitenden globalen Erwärmung wird es dazu immer seltener kommen.

Jim Meador/klimafakten.de,August 2010;
zuletzt aktualisiert: Februar 2015

Seit Mitte des letzten Jahrhunderts ist der weltweite Durchschnitt der Temperaturen um etwa 0,12° Celsius pro Jahrzehnt gestiegen. Ganz unabhängig davon aber konfrontiert uns das Wetter mit den ihm eigenen Extremen. Es steht zu erwarten, dass wir auch im Verlaufe der Erderwärmung Zeiten mit Rekordkälte verzeichnen werden – allerdings dürften diese deutlich seltener werden.

Wohl alle von uns haben schon einmal jemanden an einem besonders kalten Tag sagen hören: „Wo ist die globale Erwärmung geblieben?!“ Und es gehört zur menschlichen Natur, dass man sich am besten an ungewöhnliche Ereignisse erinnert. Es fällt Menschen viel leichter, sich an einen kalten Morgen an einem konkreten Ort vor ein paar Wintern zu erinnern oder an eine brütend heiße Hitzewelle in der Kindheit, als im Geiste langfristige statistische Trends oder globale Durchschnitte zu berechnen (auf die es beim Thema Klimawandel eigentlich ankommt).

Dennoch lässt sich aus Tagen mit Wärme- oder Kälterekorden etwas über Klimatrends lernen: Ein Rekordwärmetag ist definiert als ein Tag, an dem die Temperatur an einer bestimmten Wetterstation wärmer ist als am gleichen Datum aller vorherigen Jahre, aus denen Messungen vorliegen. Je mehr Zeit seit Bestehen der Wetterstation vergeht, desto seltener wird das Auftreten neuer Wärme- und Kälterekorde – denn wenn die Jahre vergehen und sich die Rekorde sozusagen ansammeln, wird es immer schwieriger, einen neuen Rekord zu setzen.

Ein US-amerikanisches Forscherteam (Meehl et al. 2009) hat die Rekordtage auf dem US-Festland mit hohen und niedrigen Temperaturen seit 1950 statistisch analysiert. In  Abbildung 1 ist die Zahl der Wärmerekorde mit roten Punkten dargestellt, die der Kälterekorde mit blauen Punkten. Bei einem Klima ohne Erwärmungstrend wäre zu erwarten, dass im Jahresdurchschnitt etwa gleichviele Wärme- und Kälterekord-Tage auftreten (und dass ihre Gesamtzahl langfristig sinkt). Die Auswertung aber ergab, dass die Zahl der Wärme- und Kälterekorde im Laufe der Zeit voneinander abwich – während der sechziger und siebziger Jahre gab es häufiger Kälte- als Wärmerekorde, in den letzten Jahrzehnten aber deutlich mehr Wärme- als Kälterekorde.

Abbildung 1: Jährliche Anzahl von Wärmerekorden (rote Punkte) und Kälterekorden (blaue Punkte) an US-Wetterstationen. Die schwarze Linie entspricht der Zahl von Wetterrekorden, die jedes Jahr bei stabilem Klima zu erwarten wären. Auffällig ist, dass zunehmend häufig rote Punkte über der Linie liegen und die blauen Punkte zunehmend darunter – Hitzerekorde kamen also zuletzt immer häufiger vor, Kälterekorde dagegen immer seltener; Quelle: Meehl et al. 2009

Im Weiteren wurde für jedes Jahr seit 1950 das Verhältnis zwischen Wärme- und Kälterekorden berechnet, Abbildung 2 zeigt es als schwarze Punkte, die grüne Linie entspricht dem geglätteten Trend. Während eines Zeitraums der globalen Abkühlung in den 1960er Jahren gab es mehr Kälte- als Wärmerekorde (die grüne Linie liegt unter 1,0). Als hingegen in den 1970er Jahren die jüngste Phase der Erderwärmung begann, wurden die Wärmerekorde im Verhältnis zu den Kälterekorden häufiger. In der letzten Dekade sind Tagesrekorde mit hohen Temperaturen doppelt so häufig vorgekommen wie solche mit niedrigen Temperaturen.

Abbildung 2: Verhältnis von Wärme- und Kälterekorden an US-Wetterstationen für jedes Jahr seit 1950 (schwarze Punkte). Die durchgezogene grüne Linie zeigt den zugehörigen geglätteten Trend. Die grauen Linien markieren die Grenzen des sogenannten 95-Prozent-Konfidenzbereichs – das heißt, Punkte außerhalb dieser Zone sind sehr ungewöhnlich, die Wahrscheinlichkeit für ihr zufälliges Auftreten beträgt höchstens fünf Prozent. Das Ausbrechen der grünen Linie nach unten in den sechziger Jahren zeigt an, dass dieses Jahrzehnt durch das Auftreten ungewöhnlich vieler Kälteperioden geprägt war; der starke Anstieg der (grünen) Kurve seit den 1980er Jahren weist auf einen außergewöhnlichen Anstieg von positiven Temperaturextremen hin (z.B. milde Winter und Hitzewellen während des Sommers); Quelle: Meehl et al. 2009

Mit einem Klimamodell berechneten die Wissenschaftler schließlich, welche Verteilung von Wärme- und Kälterekorden bei einer Fortsetzung der Erderwärmung zu erwarten wäre. Sie simulierten dafür die Wetterdaten für die USA (bei einem mittleren Anstieg der weltweiten Treibhausgasemissionen, dem sogenannten SRES-Szenario A1B des IPCC). Wenig überraschend vergrößerte sich der Unterschied im Auftreten von Hitze- im Vergleich zu Kälterekorden (siehe Abbildung 3).

Abbildung 3: Projektion der jährlichen Anzahl von Wärmerekorden (rote Punkte) und Kälterekorden (blaue Punkte) an US-Wetterstationen von 1950 bis 2100. Die schwarze Linie entspricht der Zahl von Wetterrekorden, die jedes Jahr bei stabilem Klima zu erwarten wären. Die Studie nutzte das Klimamodell CCSM der University Corporation for Atmospheric Research (UCAR) für die Simulation der Temperaturentwicklung unter dem A1B-Szenario des IPCC für den weltweiten Ausstoß an Treibhausgasen; Quelle: Meehl et al. 2009

Der Simulation zufolge steigt bei fortschreitender Erderwärmung das Verhältnis zwischen Hitze- und Kälterekorden (in den USA) auf etwa 20:1 bis Mitte des 21. Jahrhunderts und auf ungefähr 50:1 bis zum Jahr 2100. Die Autoren betonen:

„Vermutlich wird es einen Punkt geben, an dem keinerlei Kälterekorde mehr auftreten und nur noch Wärmerekorde – aber die Modellrechnung zeigt an, dass dieser Punkt (im A1B Emissionsszenario über den USA) erst nach dem Jahr 2100 erreicht sein wird.“

Selbst wenn sich die globale Erwärmung fortsetzt oder gar beschleunigt, wird es also mindestens im 21. Jahrhundert immer wieder Tage mit Rekordkälte geben (wenngleich immer seltener).

Weil der Klimawandel auf der Erde nicht gleichmäßig verläuft und es in seiner Folge zu Verschiebungen der Wettermuster kommt, kann es darüber hinaus zu paradoxen Entwicklungen kommen: In einigen Regionen könnte infolge der Erderwärmung die Häufigkeit kalter Tage oder kalter Winter nicht ab-, sondern sogar zunehmen. Für Nordeuropa beispielsweise deuten Simulationen darauf hin, dass ein Schwinden der Eisdecke in der östlichen Arktis dort häufiger zu Hochdruckgebieten führen könnte, was dann einen Zustrom relativ kalter Polarluft nach Europa zur Folge hätte (Petoukhov/Semenov 2010). Am Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur ändern solche regionalen Phänomene, die Luftmassen umverteilen, aber nichts.

Jedenfalls können bei der Einschätzung des Klimawandels die Temperaturen an einzelnen Tagen, Jahren oder Orten täuschen – worauf es ankommt, sind weiträumige Mittelwerte und langjährige Durchschnitte.

John Cook/klimafakten.de, Dezember 2010;
zuletzt aktualisiert: Februar 2015